Mittwoch, 13. August 2014

Past-forward



"Es ist nicht leicht, jemandem zu erklären, was Freiheit ist, der sie besitzt." (Erich Loest)

Man kann es sich im Jahr 2014 kaum noch vorstellen, mit welch unglaublicher Rasanz sich die DDR auflöste. Ein Land, das mit deutscher Gründlichkeit einbetoniert wurde, zerbröselte innerhalb weniger Monate. Am 7. Oktober 1989 waren anlässlich der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Landes noch Hunderttausende an der Tribüne vorbeigezogen, auf der Honecker und Mielke standen und huldvoll winkten. Diktatur meint nicht nur die Anmaßungen und Bedrängungen eines totalitären Systems, sondern weit mehr. Die Tyrannei, die den Hintergrund dieses Romans bildet, ist ein Geflecht mehrerer autoritärer Systeme. Die Freiheitserzählung der westlichen Welt traf frontal auf die emanzipatorische Gerechtigkeitserzählung des Sozialismus. Und am 18. März 1990 fand die erste freie und geheime Wahl zur Volkskammer statt.

Die SED-Führung neigt dazu, von Tatsachen beleidigt zu sein

In seinem Roman “Abgeschlossenes Sammelgebiet” macht A.J. Weigoni den Querschnitt eines gesellschaftlichen Universums sichtbar wie einen mit einer Glasscheibe durchschnittenen Ameisenhaufen. Er umkreist das Gefühl, eingesperrt zu sein im falschen Leben, den Zwang, die allgegenwärtige Kontrolle und eine Ideologie, die noch bis hin die letzte Nische des Lebens vordringen wollte. Der Ost-West-Deutschland-Komplex, die Wende, die in Wahrheit den Zusammenbruch gleich zweier Staaten nach sich zog, den der DDR und den der alten Bundesrepublik bildet den Mentalitätsgrund, auf dem sich seine Figuren bewegen. Er erzählt viele Geschichten zugleich und geht in keiner von ihnen vollständig auf. Es ist eine Prosa, die niemals in Stocken gerät, die gleichmäßig, Satz für Satz, fließt und sich nacherzählend am Glück der hergestellten Gegenwart labt. Ein Lustrum nach Uwe Tellkamps "Der Turm" legt dieser Romancier seine "Geschichte aus einem versunkenen Land" vor. Auch “Abgeschlossenes Sammelgebiet” ist ein voluminöser Roman, er beginnt 1989 zur Zeit der friedlichen Revolution und endet bereits im März 1990. Abseits solcher äußerlicher Ähnlichkeiten aber ist Weigonis im November 1989 einsetzender Roman geradezu ein Gegenentwurf zu Tellkamps preisgekröntem Werk, zuerst in sprachlicher Hinsicht: Weigoni ist ein überbordend lebenspraller Erzähler mit einem ungeheuren Sinn für die Ausdruckskraft von Dialekt und Jargon, von Stadion-Gesängen, Losungen und dämlichen Partei-Parolen. Wo bei Tellkamp nicht selten der schwergängige Lyrismus steht, findet sich bei Weigoni ein lediglich salopper, in Wahrheit äußerst kunstfertiger, nicht von ungefähr volksliedhafter Ton. Wem die Lektüre des "Turms" bisweilen eine Mühsal war, dem wird dieses Buch eine Lust sein. Weigoni stellt die Schrulligkeiten seiner Charaktere nicht aus, sondern untersucht deren Eigengesetzmäßigkeiten, er unterscheidet in seinem Roman zwischen äußerer und innerer Einheit. War jene eine Sache rascher Entscheidungen, so war diese eine verfassungspatriotische Aufgabe von der Art einer Selbstfindung. Von außen nach innen fortzuschreiten, damit entlarvt Weigoni die Tragik der paradiesischen Monotonie in der BRD und den deutschen Kult der Innerlichkeit ebenso, wie die Kluft zwischen dem Anspruch des SED-Staates und der Lebenswirklichkeit, die immer tiefer und zuletzt unüberbrückbar wurde.

Aus einer éducation sentimentale wird eine éducation politique

Das Leben mag vor diesen Figuren liegen, aber die Geschichte sitzt ihnen dabei immer im Nacken. Weigoni spart nicht an Personen und nicht an Situationen und Konstellationen, in die seine Typen verwickelt werden, er verknüpft die Schicksale geschickt, es gibt keine losen Enden, da werden unzählige Geschichten geschickt miteinander verbunden und episch ausgefaltet. Dieser Roman erfordert ein gerüttelt Maß an Konzentration, wer sich darauf einlässt, begibt sich in ein Lese–Exerzitium. Die Sprache ist ebenso Bewegung und Aktion. Der Leser taucht ein in den gärenden Prozess von Erinnerung und Sprachfindung, was sich in Wort-Staccatos, Satzellipsen, Kursivsetzungen, Bildwechseln, Einschüben, Fragen, Ausrufen und Dialektausdrücken niederschlägt. In “Abgeschlossenes Sammelgebiet” hat Weigoni mit unerschöpflicher Beobachtungsenergie, erzählerischer Phantasie und sprachlicher Erfindungskraft die Grenzen dessen, was wir für unsere alltägliche Wirklichkeit halten, neu erkundet und in Frage gestellt. Er zeichnet Vergangenes so anschaulich und verständlich, dass das kleine Land wiederaufersteht, ohne dass es auf einen Sockel gehoben oder verniedlicht wird. Da prallen das Altkommunistisch-Dogmatische, Idealische, Opportunistisch-Diktatorische, Zynische, Angepasste, Schizophrene, Aussteigerische, Nihilistische, und das Primitiv-Proletarische hart aufeinander. Es ist ein ebenso faszinierendes wie entsetzliches, ziemlich komplexes und dabei jedem einleuchtendes DDR-Panoramabild. Garniert mit sowohl tragischen als auch fantastisch-zukunftsträumerischen Einschüben. Weigoni interessieren die Bruchkanten der Gesellschaft, die Widerstände und Widersprüche im Zusammenleben der Menschen. Ihm ist ein fulminanter Roman auf höchstem sprachartistischen Niveau gelungen, der durch seine bildhafte Sprache und seine unerwarteten Verknüpfungen besticht. In seiner Prosa vertrieft er die Wahrnehmung der deutschen Gegenwart in Bereiche des Satirischen, Legendenhaften und Phantastischen. Philosophische und religiöse Grundfragen der Existenz entfaltet der Schriftsteller in einer subtilen Auseinandersetzung mit großen literarischen Traditionen und mit erfrischendem Sprachwitz.

Es gibt viele Nationen - aber nur eine Zivilisation

„Wir fliehen vor unserer eigenen Vergangenheit. Die Zukunft verfolgt uns“, postulierte Vilém Flusser. Dieser Roman bringt die asynchronen Bestandteile der deutschen Gesellschaft miteinander in Verbindung und stellt in einer antidiskursiven, elliptischen Sprache mit kurzen, direkten Sätzen ohne explizite Verknüpfung die Frage, was die Identität des neuen Deutschlands sein soll. Weigoni wechselt zwischen verschiedenen Tonarten und Textsorten hin und her, zwischen genauen Wirklichkeitsbeschreibungen und ins Surreale spielenden Bildern, sie eignet sich verschiedene Stimmen an, verändert von Kapitel zu Kapitel die Perspektive. “Abgeschlossenes Sammelgebiet” erzählt vom Absturz eines großen Ideals, das nicht bewohnbar ist. Zutage kommt eine Wahrheit, die keinen schont, denn auch die Losung „Wir sind das Volk“ endet als ein nicht eingelöstes Versprechen der Aufklärung. Die Eingängigkeit des Romas, beruht darauf, dass er wirklich etwas erzählt. Für ästhetische oder moralische Sinnprogramme ist Weigoni nicht anfällig. Alternative Narrationen anbieten, das, nicht weniger ist die Arbeit der Schreibkundigen. Mit den so genannten 68ern ist es so, wie mit allen Revolutionen, die sich auf Dauer einrichten, ist es leider so: erst werden sie totalitär, dann glanzlos und schließlich lächerlich. Als neugieriger Melancholiker gelingen Weigoni meisterliche Genreszenen einer zerbröselnden Westberliner Subkultur, pointillistische Feinmalereien einer Lebenswelt zwischen Rebellion und Frustration. Grenzen sind gefallen, dennoch wirken sie fort, metaphorisch in den Köpfen, real für die vielen, die weiterhin ausgeschlossen bleiben. Es ist die Chance der Literatur, die fortbestehenden Grenzen bewusst zu machen und dort Farbe zu bekennen, wo andere ihren Namen nennen und ihre Farbe bekennen müssen.

Das Unterholz deutscher Geschichte

Erst der kritische Blick zurück, die aufwendige Rekonstruktion eines historischen Moments und der darin agierenden Menschen, kann die damalige Zeit erklären, ihr wahres Gesicht zeigen. Das ist Weigonis Überzeugung und der Antrieb des Buches, sein moralischer Impetus. “Abgeschlossenes Sammelgebiet” ist Mentalitäts- und Alltagsgeschichte im Breitbandformat, die den großen Wendungen eher beiläufig Beachtung schenkt, hier werden verschiedene Handlungsstränge auf chronologisch raffinierte Weise miteinander verflochten. Weigoni nimmt ein Land und seine Widersprüche unter die Lupe. Als Schriftsteller hat er keinerlei Interesse an den ausgeleierten Strategien einer Avantgarde, die in Transparenz und Kohärenz, im Wunsch nach Erzählung und Identifikation einen Ausverkauf der Literatur wittert und das Schreiben in eine Art Freimaurertum ummünzen möchte; ebenso abstoßend findet er die Dümmlichkeit einer Kulturvermarktung, die Kunst und Literatur als reines – und leicht entbehrliches – Dekor behandelt. Dieser Romancier erzählt bisweilen mit liebevoller Ironie von seinen Figuren, die sich in einem ständigen emotionalen Ausnahmezustand befinden. Weigoni geht es um das Einfangen von Leben, Gesten und Blicken, Sprechweisen, um die Atmosphäre von Anarchie, Radikalität und Erneuerung und schließlich das Auseinanderdriften der Lebensentwürfe zwischen politischer Arbeit, Parties, Drogen und militantem Untergrund. Die barocke Fülle erinnert an Dostojewski wenn Weigoni das Motiv der Gefangenschaft aufnimmt, was ganz vorzüglich für eine Parabel über das Leben in der DDR taugt. Das bedeutet Witz, Schärfe, Ironie, und es meint zugleich Seele, Sentiment, ja schwärmerische Seitensprünge – von der Literatur ins Politische, von der Essayistik in die polemisch aufgekratzte Postille. Nach der Lektüre von “Abgeschlossenes Sammelgebiet” erscheint die moralische Umbruchperiode der achtziger Jahre in einem neuen Licht. Bei Weigoni waltet in unserer Zeit der Weichspül-Floskeln und der heraufziehenden Diktatur einer political correctness die Unerschrockenheit eines Menschen, der noch den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Nach der Lektüre von “Abgeschlossenes Sammelgebiet” erkennt man, dass dem Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des Sozialismus das Korrektiv, die gedankliche Alternative abhanden gekommen ist. Weigoni hält es für unproduktiv, wenn sich das Gegenüber als Sieger fühlen kann, er fürchtet um die Menschenwürdigkeit der Verhältnisse, in denen sie künftig leben.

Liebe und Bewussteinsphilosophie in der Zeitschleuse

Wer den sicheren Erfolg sucht, muss gefallen wollen, das war für diesen kompromisslosen Schriftsteller nie eine Option. In seinem ersten Roman zeigt sich Weigoni als Sprachvisionär, Existenzdurchdringer und Gesellschaftskritiker. Für ihn ist der Widerspruch die tägliche Umgangsform, er ist ein freier Geist, niemandem verbunden als sich selbst; Schreiben ist ihm gesteigertes Leben. Einspruch erheben gegen die Zumutungen der Politik, sich nicht vereinnahmen lassen, arbeiten und leben mit aufrechtem Gang. Nicht Lob, nicht Anfeindungen, die es gibt, können ihn von seinen Positionen abbringen. Der Ton ist souverän. Haltung bewahren. Offen sein und neugierig. Als ein politischer Schriftsteller sieht sich er sich nicht, ihm geht es um den Menschen, um Moral und Lebenslügen, Selbstbetrug und Enttäuschungen, um Freundschaft und Liebe über Grenzen hinweg, um fließende Identitäten - mehr als um Widerstand gegen Unterdrückung. Dabei neigt er eher dazu, Fragen zu stellen als klare Antworten zu geben. Dieser Romancier gestattet einen Blick in die Zukunft, der als Bericht aus der Vergangenheit daherkommt. Noch einmal von vorn zu denken anfangen, das hat sich Weigoni mit diesem Roman zur Aufgabe gemacht. Hinterfragen, bewusste und unbewusste Schweigegebote brechen, Vergangenen in die Gegenwart zurückerzählen. Er sucht nach den Zusammenhängen zwischen sozialen und individuellen Symptomen und deren historischen Wurzeln in der Politik, in den Familien, immer tiefenscharf die Generationen durchleuchtend, stets die Gegenwart im Blick. Es geht um ein Erbe, das man nicht ausschlagen kann, so fest man die Augen auch zukneift. Er gewinnt dem Material etwas ab, wofür es eigentlich nicht geschaffen wurde. Am Schluss geht es nicht um ein Happy ending, sondern darum, das Gewicht des eigenen Daseins auszuhalten. Dieser Roman ist ein Novum innerhalb Deutschlands ausdifferenzierter Literatur.

Jo Weiß

“Abgeschlossenes Sammelgebiet”, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 - Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover

Erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Donnerstag, 27. Januar 2011

Edition Ohrenzwinkern


"Die Edition Das Labor lanciert mit Ohrenzwinkern ein Label, auf dem Facetten der multimedialen Kunst zugänglich macht, die nach den herkömmlichen Marktgesetzen unerschlossen bleiben. "Den Markt" muß man entmystifizieren. Der Kunstmarkt besteht aus vielen Menschen, die nur drauf warten, dass sich an dem aus den USA importierten Standard etwas ändert. Das aufgeklärte Publikum erwartet auf Künstler, die den Vorhang aufreißen, um in einer anderen Form zu erzählen.
Wir haben im deutschsprachigen Raum nur das Standardisierte und das sich sehr radikal gerierende Kunstkino oder abseitige Avantgardeliteratur. Es gibt andere Erzählformen, sie werden in der Edition 'Das Labor' präsentiert.

Die DVD ist das Medium, das mehr als ein anderes zuvor die Geschichte der multimedialen Arbeit gegenwärtig zu halten erlaubt. An der Schnittstelle zwischen der virtuellen, freien Verfüg– und Kopierbarkeit der Internet–Archive, der subventionierten Museen und der durch Kopierschutz und Regionalcodes geregelten Verwertbarkeit auf Kapitalmärkten. Die AV-Reihe Ohrenzwinkern will physische und metaphorische Prozesse des Verharrens, des Abschieds, des Übergangs und der Verwandlung abbilden, ihnen nachspüren, sie aufschlüsseln.

Fortzuhören ist schwieriger, als fortzublicken. Hören bedeutet Eintauchen, es birgt ein Potenzial an Regression, so daß sich der Hörer im besten Fall an den tiefsten Orten seines Wesens berührt fühlt. Das Gehör ist der erste Sinn, der sich im Mutterleib bildet, und der letzte, den der Sterbende verliert. Die Faszination des Hörbuchs geht daher über die Lust an Geschichten hinaus und reicht, anthropologisch betrachtet, sehr tief.

Selten gehörte und gezeigte multimediale Arbeiten aus den Beständen werden in der Reihe Ohrenzwinkern auf DVD und CD wieder allgemein zugänglich gemacht. Die Restauration von »Schland« ist beispielsweise eine Resynchronisation, die Bild und Ton des Films, im vorliegenden Original gegeneinander verrutscht, wieder in den richtigen Bezug zueinander bringt. Auch bei den anderen Ausgaben wird die geheime Ordnung der Bilder und der Töne erkundet.

Die Edition Ohrenzwinkern versteht sich als zeitgenössische Form, über Kunst- und Literaturgeschichte nachzudenken. In formschönen DVD-Hüllen wird dem Sammler eine Reihe präsentiert, die eine Zierde für jedes Bücherregal darstellt. Die Zukunft der Vergangenheit der multimedialen Arbeit sieht dank DVD und CD anders aus. Mit dieser Edition läßt sich ein Stück davon in Augenschein nehmen."

Zwinkernd geborgto, unter herzlichstem Dank der Bereicherungen als der Hoffnung der Multiplikation unter dem Gehör finden.
Alles Gute diesem Futur

Edition Das Labor
Vordenker

Dienstag, 28. September 2010

Zombies

Nach der kostbaren Einladung zum Abenteuer
des gemeinsam Gedichte erwandelns,
des unter ihnen auseinanderfallens und sich neu zusammensetzens ?
Ein Praktikum(tm)! im Kurzgeschichtenraume:

"Das Praktikum

Die verkalkte Maschine sprotzt. Kaffee ist gerade durchgelaufen.
Die letzten Tropfen dröppeln über den Prött durch den Filter. Der
Präparator ist ein grobschlächtiger Typ jenseits der Midlife-Crisis,
seine Koteletten sind buschig und dicht wie der Schwanz des
Eichhörnchens. Er mümmelt an seinem Frühstücksbrot. Schmatzt
unbekümmert. Liest die Boulevardzeitung. Grunzt dabei, wiehert.
Willbert Neumann steckt seinen Wuschelkopf zur Tür herein.
>>Bin ich hier richtig: bei Manfred Schulz?<<
>>Bist der neue Sektionshelfer, woll!?<<
>>Genau.<<
>>Setz dich erstmal auf'ne Kaff'.<<
>>Wat war'sse früher?<<, erkundigt sich Schulz beiläufig, nachdem
er den Sportteil und damit seine tägliche Lektüre hinter sich hat. Er
legt das Blatt weg und sieht seinem Gegenüber in die Augen.
>>Hab' als Metzger gejobbt.<<
>>Und warum bis'te keiner mehr?<<
>>Biofleisch kauft kaum noch jemand. Hab' bei meinem Vater in
der Firma gearbeitet und der finanziert mein Studium<<, liest Will-
bert eigentlich lieber Windschutzscheiben als Bücher, hält es sich
offen, als Zoologe Insekten zu erforschen.
>>N' Auszubildender bleibt im eigenen Betrieb immer der Stift.<<
>>Mein Onkel, Professor Lurk, arbeitet in der Transplantations-
abteilung; der meint, wenn ich den Job hier packe, werd' ich Arzt<<,
erklärt Willi. Auf seinem Gesicht malt sich ein Lächeln ab, das
man verlegen finden könnte, arrogant und routiniert. Im Gepäck
hat er nichts als eine saubere Wohlstandsbiografie. Hier will er die
Bereitschaft entwickeln, an ihr zu leiden.
>>Dat wird wohl angehen. Dann woll'n wir mal.<<"

Dann woll'n wir mal:

R
öntgenrealismus


In keiner der sozialen, kulturellen, beruflichen und ökonomischen Parallelwelten dieser »Zombies«, die A.J. Weigoni röntgenrealistisch abbildet, will man leben. Dieser Schriftsteller blickt mit einen naturwissenschaftlichen, medizinischen und kriminalistischen Blick, sozusagen „bis auf den Teufel hinunter“ (Lichtenberg). Vieles schildert Weigoni als Farce und Persiflage, wobei er in seinen Erzählungen ganz nebenbei auch die Spielarten und Attitüden der Genreliteratur persifliert.

Alles scheint Marketing und nichts bietet ein Zentrum. Die Lebensumgangs- und Kommunikationsformen dieser »Zombies« sind technokratisch geprägt. Diese Kulturprimaten werden in einer emotional erkalteten Welt hinterfragt, sie versuchen eine durch Geld und Konsum beförderte Zufriedenheit für sich als Ziel zu bestimmen, dauerhafte Glücksgefühle erlangen sie damit nicht. Weigoni findet in seinen exakten Erzählungen hyperreal wirkende Szenen, er beobachtet das Geschehen zuweilen aus so abwegigen Perspektiven und kommt den Charakteren so unangenehm nah, das Leben wird zur Geisterbahnfahrt. Die Kosmologie von Weigoni besteht also aus einem rabenschwarzen Paradox: Handeln und Nicht–Handeln, beides führt in die Misere. Mit ihren Lebensverhinderungstaktiken bleibt die ersehnte Liebe seiner Figuren letztlich ein Phantom, was demzufolge bleibt sind Phantomschmerzen.

Die Kapitel, die prosaische und essayistische Elemente verbinden sind praktisch Literaturclips mit filmischen Strukturen und Effekten, worin die Antihelden durch das Bild einer zerfallenden Wirklichkeit laufen, deren permanente Bewegung ihre zunehmende systemische Erstarrung zeigt. Weigonis »Vignetten« beschreiben authentische Sehnsuchtsträume, die »Zombies« überwiegend fabrizierte. Man kann Weigoni eine gewisse Lust an der Bosheit und einen manchmal allzu ungnädigen Umgang mit der conditio humana unterstellen, mit dem er seine Figuren ins scharfe Messer der Kontingenz laufen lässt, gerade das macht seine Erzählungen so unterhaltsam.

Jo Weiß

»Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2010 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover

Hörprobe auf«: http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/

Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Mehr ? Um und über diese umtriebigen Schurken ?

Hier, bitte: Edition Das Labor
in höchst aktueller, elegant sich rankend, digitalen Tagebuchform.

In höchstem Dank² der bereichernd Verstörung.

Samstag, 19. Juni 2010

Gedichte - HörBuch von A. J. Weigoni



Die meisten Menschen pfeifen auf Lyrik, wir zwitschern!
oder ?
Gedichte - HörBuch von A. J. Weigoni






Dank des der Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus eine auflebende Form. Ein Aphorismus ist modern, wenn er der Denkgenauigkeit seiner Zeit entspricht.

Die folgenden Aphorismen gehen weiter als der geschriebene Text; sie sind kein Ende, sondern ein Anfang. Sie machen den Versuch, diesen kleinen Rest an Sprache und Gedicht ein wenig aufzuhellen, und die Anstrengung, wenigstens seine Ränder verstehbar zu machen:


„Als ich »Gedichte« von A.J. Weigoni lauschte, war für mich sofort klar: Das ist wirkliche Kunst!“
Simeon Hrissomallis in seiner Begründung für den Hörspielpreis Ohrkanus


„Der Raum, in dem Weigoni schreibt, denkt und fühlt ist, wie er selber sagt, Musik und Poesie.“
Paulus Peternell, www.hoerbuch-kritiken.de


„A.J. Weigoni weiß, wie man Dichtung zu Klang macht.“
Dr. Tamara Kudrjawzewa, Moskau


„Diese Texte muss man akustisch aufnehmen.“
Dr. Christiane Schlüter, Bücher-Wiki


„Man kann diese »Gedichte« als Echo auf Niklas Luhmanns »Liebe als Passion« hören, als ein Kompositum, das zwischen phonetischen, pictografischen und onomapoetischen Formen oszilliert.“
Jo Weiß


„Hier ist ein Laut– und Klangmaler am Werk, oft auch ein Sprachakrobat… ein so musikalisch wie konkreter Poet zwischen Ernst Jandl und Mauricio Kagel.“
Wendt Kässens


„Seinem zornigen Elan fehlt es bei alledem nicht an Pathos und Sehnsuchtsausdruck.“
Prof. Dr. Franz Norbert Mennemeier, Mainz


„Was Weigonis Dichtung umspannt, ist nicht wenig: von permanenter Kommunikation bis hin zum Rückzug in die Einsamkeit ureigenster Gedankenwelt.“
Dr. Dieter Scherr, Literaturhaus Wien


„Weigoni zieht die Sprache aus, reißt ihr die Verkleidungen herunter, schält sie aus ihren Klischees heraus, führt sie zum Ursprung ihrer Bedeutung zurück…“
Patricia Brooks, Klosterneuburg


„Die Jaynes'sche These aus den 1970er-Jahren von der "Sprache als Wahrnehmungsorgan" findet in Weigonis Essay eine neue Entsprechung.“
Dr. Joachim Paul www.vordenker.de


Die nachfolgenden Gedanken wurden in der Aus_einandersetzung auf Hoergruselspiele gewonnen, als sich beherzte Gruselhörspielliebhaber dem Wagnis / Experiment entgegenwarfen ... nein ... auszogen : Gedichte zu erhören :


"Zuerst: Skepsis. Doch dann - In Weigonis Wortweltgewaltwellen eingetaucht. Eingesogen. Vom Buchstabengestöber berührt."
Professor Fungoni zu Bonn. Im denkwürdigen Mai des Jahres 2010.


"Die Gedichte vermitteln kein Erlebtes, sondern erzeugen sinnliches Erleben. Das macht Spaß!"
Schanall alias schnö von und zu Moserbrunn. Im denkwürdigen Mai des Jahres 2010.


"Wortspielereien, Lautmalerei und das Spiel mit Empfindungen - das ist hier gelungen! Wer seine Aufmerksamkeit darauf zu richten vermag, wird überrascht sein!"
Lilli alias von und zu. Im denkwürdigen Juni des Jahres 2010.


Unser Dank gilt dem Dichter, Matze und dem Tonstudio an Ruhr,
unser Dank der Hand zum Abenteuer des sich vertraut machen dürfens,
im näheren Futur dürfen wir uns noch auf die ein oder andere Reflektion freuen,
wie schön sie in einem lärmen und arbeiten ... diese Gedichte


"Der VerDichter
Als von Madonna eine CD mit dem Titel „Music“ erschien, hat
A.J. Weigoni mit Tom Täger in einer Sektlaune rumgeflaxt, daß sie die nächste CD „Gedichte“ nennen sollten. Dabei ist es geblieben. Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters.
Interview mit A.J. Weigoni von Jens Pacholsky im Goon-Magazin:

Jens Pacholsky: Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, daß Sie der Sprache verfallen sind?

A.J. Weigoni: Als ‚I-Dötzchen’ mußte ich in der Schule den ersten Satz meines Lebens schreiben: „Heiner ist weg.“ Mir war es völlig rätselhaft, wer dieser Heiner war und wohin er verschwunden ist. Möglicherweise liegt darin der Sinn von Poesie, zu beschwören, was abhanden gekommen ist oder wir erforschen wollen. Schreiben ist, so besehen, eine Art von Wiederaneignung der Welt. Poesie entdeckt Wirklichkeiten außerhalb der Wirklichkeit, sie wird damit zu einem ein Echo der Realität, daß unsere Seele erklingen läßt." [...]

Weiterlesen ? Aber bitte : zur Lyrikwelt.



Dienstag, 15. Dezember 2009

A. J. Weigoni - Vignetten - Bruchstückhafte Morsezeichen

Im Spiel des Jahres 2008 wurde uns das Geschenk zuteil über besondere Zeitgenossen, bruchstückhaft, Eindruck teilen zu dürfen,
übergroße Riesenfreude erneut von etwas Besonderem, bruchstückhaft, Kunde tragen zu dürfen, unser Dank für die Anstiftung.


"[...] Die Artisten der ‘Edition Das Labor’ interessieren sich für Kunst, die nicht illustriert, sondern anders politisch relevant ist, es sind Künstler, die sich für Lebensentwürfe und das Zusammenleben interessieren und nicht für standardisierte Wege. Bei diesem Netzwerk sind grundlegende Werte die Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Demokratie, Gleichheit und Solidarität. Die beteiligten Künstler vertrauen auf die ethischen Werte Ehrlichkeit, Offenheit, Sozialverantwortlichkeit und Interesse an anderen Menschen. Der Sinn der ‘Edition Das Labor’ liegt darin, daß sich Künstlergruppen aus unterschiedlichen Regionen zusammenschließen und dem herrschenden Kulturbetrieb etwas Eigenes entgegensetzen. Diese Art zu arbeiten befreit die Gründer der ‘Edition Das Labor’ von der Massenidentität, die in der globalisierten Gesellschaft entsteht. Die beteiligten Artisten machen keine Kunst, um Antihelden einer Subkultur zu werden, sondern vor allem, um die Sinngebung durch Kunst zu retten, um als Individuen zu überleben."

Quelle : Matthias Hagedorn - Das Labor - Informationen über den Verlag der Artisten

Um das folgende, in Kontext, zu erhellen ... möchten wir auf Theo Breuers Beobachtungen:
"A. J. Weigoni - Lachfalten im Gesicht der Zeit - A. J. Weigonis eindringliche Vignetten"
via dem Poetenladen verweisen.
Vielen Dank für das teilen.

Bruchstückhafte Morsezeichen

A.J. Weigonis ‚Vignetten’ folgen einer mäanderförmigen Struktur. Dieser Schriftsteller nähert sich tastend und fragend. Und das entspricht dem Charakter dieser Novelle, die reflexiv ist, indem sie beim Betrachten und Beschreiben innehält. Diese Novelle kommt in einem verhaltenen Ton daher, sie ist nicht auf eine Pointe hingeschrieben, sondern zieht weite Kreise ums jeweilige Thema, verliert sich gelegentlich auch ganz in Entlegenem. Übergroße Klarheit im Denken verhindert einen wachen Blick oft eher.

Die literarische Qualität der ‚Vignetten’ wurde mir erst beim erneuten Lesen vollständig bewußt. Kein früheres Buch transformiert Weigonis geistige und ideelle Substanz so sehr ins sinnlich konkret literarische wie dieses. Die Sinnlichkeit der Beschreibung erinnert teilweise an Louis Aragons Erzählung ‚Die Abenteuer des Telemach’. Die Protagonisten werden von ihren eigenen Gefühlen oft überwältigt, das wird von ihnen nicht direkt ausgesprochen, sondern diskret umrissen. Es sind nicht nur die Lebensfragen der Figuren, die nach einer Form suchen, Weigoni befragt gleichzeitig die Literaturgattung mit.

Die filmschnittartigen Reflexe des Großstadtlebens sind Walter Benjamin nahe, doch auch die ‚Mythen des Alltags’ von Roland Barthes. Was Benjamin noch ungebrochener faszinierte, zeigt Weigoni mehr im Technomodernismus. Manchmal glaubt man gar, es werde eine künftige Welt beschrieben. Weigoni präsentiert mit dieser Novelle mehr Erzählstoff als viele so genannte Erzähler in einem ganzen Roman, er hat mit den ‚Vignetten’ den Quellcode der deutschsprachigen Literatur überarbeitet.

Jo Weiß

»Vignetten«, Novelle von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2009 – Limitierte und handsignierte Ausgabe als Hardcover

Auch als Hörbuch umgesetzt, Eine Hörprobe findet sich auf«: http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/

Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de



Erkunden und Entdecken und Erlaufen ?
Zum Beispiele :
A. J. Weigoni via der Lyrikwelt
Matthias Hagedorn via jetzt.de
Kulturnotizen.de

Unter Dank um das Schöne
und die Gegenwart.

Donnerstag, 8. Januar 2009